SWB: Welche Hilfestellungen bietet das Familiennetzwerk Nordsachsen durch die Familienhebammen an?
Andrea Bolze, Leiterin der Fachstelle Familiennetzwerk und Netzwerkkoordinatorin Kinderschutz und Frühe Hilfen: Familienhebammen und Familienkinderkrankenschwestern, auch Gesundheitsfachkräfte der Frühen Hilfen genannt, sind besonders ausgebildete Hebammen und Kinderkrankenschwestern, welche Familien mit Kindern ab der Schwangerschaft bis zum dritten Geburtstag des Kindes begleiten können. Wir haben derzeit insgesamt 14 Familienhebammen und Familienkinderkrankenschwestern im Jugendamt Nordsachsen, die als Honorarkräfte zum Teil neben ihrer Freiberuflichkeit in ihrem originären Beruf als Hebamme oder Kinderkrankenschwester in der Klinik oder Hebammenpraxis tätig sind.
Dabei kommen die Gesundheitsfachkräfte der Frühen Hilfen, ebenso wie eine Hebamme, zu den Familien nach Hause. Sie geben Tipps zur gesunden Entwicklung und Versorgung des Kindes. Mit einer Gesundheitsfachkraft können Eltern auch über Sorgen sprechen, die sie und ihre Familie belasten. Bei speziellen Problemen helfen sie, geeignete Fachleute und Unterstützungsangebote zu finden. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei immer die Gesundheit des Babys und der engen Bezugspersonen.
Die Bedarfslagen der Familien sind dabei sehr unterschiedlich. Meist reicht die Begleitung durch die Hebamme nicht aus und es braucht darüber hinaus noch eine fachliche Begleitung der Familie, weil zum Beispiel eine chronische Erkrankung beim Baby festgestellt wurde und dadurch große Unsicherheiten bei den Eltern bezüglich der weiteren Entwicklung oder Versorgung des Babys bestehen.
Manchmal zeigt das Kind durch exzessives Schreien oder Schlafprobleme, dass es Anpassungsschwierigkeiten nach der Geburt hat. Wir erleben auch Mütter, die es zum Beispiel nach einer traumatischen Geburt sehr schwer haben, in ihre mütterliche Rolle zu finden und eine Bindung zum Neugeborenen aufzubauen. Hier unterstützen die Gesundheitsfachkräfte durch Interaktionen, wie Babymassage, Trageberatung oder auch nur kleine Fingerspiele und -reime auf dem Wickeltisch, den Aufbau und die Stärkung der Bindung zwischen Mutter-Kind beziehungsweise Vater-Kind zu fördern.
Welche Unterstützung benötigen Familien oder Alleinerziehende auch nach der Geburt noch?
Melanie Große, Koordinatorin Gesundheitsfachkräfte und Familienpatenschaften in den Frühen Hilfen: Hier sehen wir vor allem die Entlastung im Alltag durch ein gutes Netzwerk um die Familie herum als wichtige Unterstützung. Sei es durch Familienangehörige, Freunde oder außerfamiliäre Kinderbetreuung in einer Einrichtung. Zudem gibt es in einigen Regionen im Landkreis Nordsachsen auch ehrenamtliche Familienpatinnen und Familienpaten, die den Alleinerziehenden im Alltag eine wertvolle Hilfe sein können und zum Beispiel am Nachmittag oder bei wichtigen Terminen bei der Kinderbetreuung unterstützen können.
Haben sich die Probleme junger Mütter und Väter über die letzten Jahre verändert im Vergleich zu früher?
Melanie Große: Wir stellen gefühlt mehr Unsicherheiten bei Eltern in Bezug auf die Entwicklung ihrer Kinder fest. Mütter fühlten sich vor allen in Zeiten des Lockdowns allein, da keine Gruppenangebote stattfanden und man bei familiären Zusammentreffen vorsichtig sein musste, um zum Beispiel die Großeltern nicht zu gefährden.
Ebenso haben psychische Belastungen von Müttern zugenommen, die sich zum Beispiel in Depressionen oder Angstzuständen ausdrücken. Dadurch werden unsere Begleitungen intensiver und es braucht weitere Fachkräfte, um die psychischen Belastungen angemessen einzuschätzen und zu begleiten.
In Bezug auf die Kindesentwicklung zeigen sich vermehrt Verzögerungen in der motorischen Entwicklung, eine mangelnde Zahnhygiene oder Adipositas-Tendenzen.
„Angebot an Kursen von Hebammen hinkt Bedarf hinterher“
Wie sieht die berufliche Situation bei den Familienhebammen aus, gibt es zum Beispiel genügend Nachwuchs?
Melanie Große: Von den Familienhebammen, mit denen wir zusammenarbeiten, hören wir oft, dass sie viele Frauen in der Hebammennachsorge betreuen und manchmal weniger Zeit für die Tätigkeit als Familienhebamme bleibt. Von daher fehlt es hauptsächlich an Hebammen, sodass Angebot und Nachfrage immer weniger zueinander passen. Vor allem in der Region Oschatz fehlt es an von Hebammen geleiteten Kursen zum Beispiel zur Geburtsvorbereitung oder Babymassage.
Was müsste getan werden, um den Beruf attraktiver zu gestalten?
Andrea Bolze: Grundsätzlich übt jede unserer Familienhebammen und Familienkinderkrankenschwestern ihren Beruf mit Herz und Seele aus. Das sollte in der Öffentlichkeit anerkannt und wertgeschätzt werden. Wir schätzen es sehr, dass wir mit solch engagierten Gesundheitsfachkräften zusammenarbeiten dürfen und wir als Jugendamt solch ein schönes Angebot vorhalten können. Es ist manchmal schwer, im präventiven Bereich zu arbeiten, da die Unterstützung nicht immer zeitnah wirkt oder Ergebnisse nicht immer gleich zu sehen sind.
Oft stellt sich erst zu einem späteren Zeitpunkt heraus, wie sinnvoll die Hilfe für das Kind beziehungsweise die Familie war. Je eher Familien aber unterstützt werden und möglichen Problemen wie Überforderung und Überlastung der Eltern vorgebeugt wird, umso besser können sich Kinder entwickeln und auch selber spätere Krisen besser bewältigen. Daher brauchen präventive Angebote eine noch stärkere Lobby.
Wo kann man sich hinwenden, wenn man diese Unterstützung gerne in Anspruch nehmen möchte?
Andrea Bolze: Möchte eine Familie eine Familienhebamme oder Familienkinderkrankenschwester in Anspruch nehmen, kann sie sich an unser Team der Fachstelle Familiennetzwerk wenden. Ebenso, wenn sie sich Hilfe durch eine Familienpatin wünscht. Wir schauen dann gemeinsam mit der Familie, wie eine Unterstützung aussehen kann.
Gespräch: Jochen Reitstätter
Informationen erhalten Interessierte im Netz unter www.landkreis-nordsachsen.de, Jugendamt, Fachstelle Familiennetzwerk oder per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.