SWB: Sie sind mit Leib und Seele Fleischermeister. Macht Ihnen Ihre Arbeit noch Spaß, Herr Bachmann?
Lars Bachmann: Wenn ich die Preissteigerungen in allen Bereichen ausklammere, ja. Der Rohstoff Fleisch und dessen Verarbeitung ist immer noch geil. Es gibt aber auch eine Kehrseite der Medaille: Allein im Sächsischen Fleischerinnungsverband gaben in diesem Jahr drei Fleischereien aus dem Muldental auf. Viele vergessen den großen Aufwand, den unsere Handwerksbetriebe haben.
Bereitet Ihnen die Verantwortung für Ihre Mitarbeiter und den Betrieb schlaflose Nächte?
Ja, immer häufiger. Natürlich mache ich mir Gedanken, über das, was um mich herum passiert. Ich möchte keinen Mitarbeiter aus meinem Team verlieren. Alles ist im Wandel.
Haben Sie ein Beispiel?
Vor 15 Jahren konnte ich aus zwei Bewerbern einen für meinen Betrieb auswählen, vor sieben Jahren gab es einen Bewerber für eine Stelle. Heute kann der Bewerber aus mehreren Betrieben auswählen. Was ich damit sagen möchte: Es fehlt überall an Leuten. Ich rechne bald damit, dass wir amerikanische Verhältnisse haben. Das heißt: Vieles wird über die Learning by Doing-Methode passieren. Fachkräfte in dem Sinn wird es kaum noch geben. Wer die Arbeit nach einer gewissen Zeit beherrscht, wird sie ohne Abschluss verrichten.
Was ist das größte Sorgenkind für Sie? Die Energiepreise? Der Fachkräftemangel? Die überbordende Bürokratie?
Alles bereitet uns Sorgen. Der Mindestlohn, den ich bei mir im Betrieb hinbekommen habe und stemme sowie auch der Fachkräftemangel. Wir bilden mittlerweile zwei Vietnamesinnen in Torgau als Fleischfachverkäuferin aus, da aus der einheimischen Bevölkerung keiner mehr Handwerksberufe erlernen möchte. Sorge bereitet mir die Tatsache, dass die Kaufkraft – vor allem im Osten – mehr und mehr schwindet. Die Leute halten ihr Geld zurück. Da dachten wir im Februar, Corona überstanden zu haben, um auf Normalbetrieb umschalten zu können. Da bricht der Ukraine-Krieg aus. Der nächste Rückschlag. Ich habe einen passenden Vergleich. Noch sitzen wir an einem üppig gedeckten Tisch und Speisen. Aber bald präsentiert uns der Wirt die Rechnung, und wir schauen uns an, weil keiner mehr zahlen kann. Zum Thema Bürokratie ist seit Jahren ein Abbau politisch versprochen. Die Realität ist, das selbst der Handwerksmeister immer mehr Zeit am PC verbringt und die eigentliche Arbeit zur Nebensache wird. Ein Ende ist da nicht in Sicht. Und sind wir doch mal ehrlich, es werden immer mehr unproduktive Arbeitsplätze geschaffen.
Haben Sie in Überlieferungen Ihrer Vorfahren je von einer ähnlichen Krise gehört?
Zu jeder Zeit und in jedem Gesellschaftssystem gab es Krisen zu bewältigen. Mein Opa musste als einer der Letzten noch in den II. Weltkrieg ziehen. Zu DDR-Zeiten gab es das sogenannte Skelett-Rennen – alle Edelteile von Schlachttieren wurden nach Berlin geliefert. Aus den Resttierkörpern wurde Wurst gemacht. Ende der 1990er Jahre gab es die BSE-Krise, wir mussten Kurzarbeit anmelden. Heute wütet die afrikanische Schweinepest.
Fühlen Sie sich von der Politik allein gelassen?
Der Staat kommt im Vergleich zu einem Handwerksbetrieb immer zu spät. Ich habe immer Eigeninitiative entwickelt, investiert, wenn es möglich war. Bereits 2009 habe ich die Kühlhäuser mit Frequenzreglern ausgestattet, um 10 Prozent Strom zu sparen, 2014 die komplette Firma auf LED umgestellt und 2020 die Dachflächen in Dommitzsch mit Photovoltaik bestückt. Jeder Handwerksbetrieb hat Einspar-Potenzial, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Wenn ich mein Handwerk aber so führen würde wie der Staat arbeitet, wäre ich schon lange insolvent.
Für viele Handwerksbetriebe ist die gegenwärtige Situation existenzbedrohend.
Das Handwerk hat schon so viele Krisen gemeistert. Ich bin mir der Verantwortung für meine Mitarbeiter bewusst – schon deshalb kann ich die Flinte nicht ins Korn werfen. Allerdings ist es mit Optimismus allein nicht mehr getan. Schon während Corona mussten einige die Segel streichen. Einige Branchen haben aber eine starke Lobby. Wer am lautesten den Mund aufmacht, wird von der Politik gehört. Trotzdem fehlt Personal an allen Ecken und Enden. Sei es in der Pflege, bei den Lehrern oder im Handwerk. Da braucht man eigentlich nicht immer einzelne Bereiche medial hervorzuheben.
Werden Güte und Qualität im Fleischer-Handwerk künftig unbezahlbar?
Es hat den Anschein, ja. Weil die Schweine nicht so alt werden, wird die Qualität des Fleisches von Jahr zu Jahr schlechter. Dazu kommen die gestiegenen Kosten für Rohstoffe, Saatgut und Futtermittel bei der Aufzucht. Das kam zumeist aus der Ukraine und wird im kommenden Jahr weniger und teurer werden. Auch das Tierwohl muss bezahlbar bleiben. Dazu kommt, dass aufgrund gestiegener Nebenkosten die Leute lieber Angebote im Discounter kaufen. Hochwertige Fleisch- und Wurstwaren könnten zum Luxusgut werden, wenn die Preise weiter so steigen. Ich muss so kalkulieren, dass alles bezahlbar bleibt.
Gibt es dennoch den viel zitierten Silberstreif am Horizont?
Unsere Schlachtefeste erfreuen sich großer Beliebtheit. Das hat auch damit zu tun, dass Hausschlachtungen sehr zurückgegangen sind. Altherkömmliche, handgemachte Lebensmittel stehen hoch im Kurs. Auch ich muss immer neue Wege suchen und beschreiten, alle Nischen bedienen. Ab dem kommenden Jahr wird es mehrere Suppen im Glas geben. Unser Koch hat ein gutes Händchen dafür.
Glauben Sie, dass Ihr Unternehmen auch in 5. Generation weitergeführt werden kann?
Mein Sohn möchte gern das Fleischer-Handwerk erlernen. Nächsten Sommer soll er erst einmal die Schule abschließen. Im Anschluss möchte er dann gegebenenfalls ans BSZ und sein Abi machen. Dann sehen wir weiter. Bis dahin bleibt abzuwarten, ob sich die Arbeit als Fleischer noch lohnt. Ich habe allerdings ein Ziel: In drei Jahren möchte ich 25 Jahre Handwerksmeister feiern.
Gespräch: H. Landschreiber